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Friedrich Schiller und Der Verbrecher aus verlorener Ehre




Friedrich Schiller war ein Revolutionär. Freiheit ist ein Schlüsselbegriff zu seinem Werk und Charakter. Als junger Mann war er ein Hauptvertreter des Sturm und Drang, eine Art Angry Young Men Bewegung des 18. Jahrhunderts, die gegen das Mittelmaß und die Fühllosigkeit der Vernunft aufbegehrte. Mit nur 21 Jahren schrieb er sein berühmtes Schauspiel Die Räuber, in dem er mit brennendem Herzen gegen die Heuchelei der Herrschenden zu Felde zog. Danach musste der gebürtige Schwabe vor dem Herzog von Württemberg flüchten. Doch anders als sein Räuber Karl Moor wurde Schiller weder kriminell noch verbittert. Schiller war vor allem ein Revolutionär seines eigenen Lebens. Trotz widrigster Umstände nahm er sich die Freiheit heraus, ganz Künstler sein und werden zu wollen. Auf diesem Weg wurde er schließlich auch zum besten Freund von Johann Wolfgang von Goethe, der ihn in seiner Gegensätzlichkeit ideal ergänzte: Freiheit und Liebe, Herz und Verstand, das Revolutionäre und Konservative gingen von nun an ein unschlagbares Bündnis miteinander ein.

Vor diesem Hintergrund stellte Schiller eine der wichtigsten Fragen der modernen Menschheit. Das Zeitalter ist aufgeklärt, stellte er zunächst in einem Brief an den Herzog von Augustenburg fest, von dem er ein dreijähriges Stipendium erhalten hatte. Und dann fragte er: Woran liegt es, dass wir noch immer Barbaren sind?

Als Barbaren haben die alten Griechen ja einst ungebildete, rohe Menschen bezeichnet, die sich sprachlich nur schwer ausdrücken konnten. Wenn diese Wilden geredet haben, verstanden die alten Griechen nur bababa. Der Ausdruck Barbaren kam also lautmalerisch zustande. Schiller bezeichnet damit allerdings nicht die sogenannten Primitiven, die Fremden, die Unkultivierten. Die Größe seiner Frage liegt im Wir. Er fragte, woran es liegt, dass wir kultivierte und gebildete Menschen, die wir im Zeitalter der Aufklärung leben, noch immer Barbaren sind.

Mit jedem Drama, mit jeder Erzählung und jeder Geschichte, die er schrieb, hat Schiller diese Frage aufs Neue beantwortet. So wurde der Dichter auch zu einem Begründer und Vorläufer des modernen Kriminalromans. In seiner Kriminalgeschichte Der Verbrecher aus verlorener Ehre erzählt er die „wahre Geschichte“ von Christian Wolf, dem sogenannten Sonnenwirt, der das Jagdrecht des Adels missachtete und durch eine unverhältnismäßig hohe Bestrafung noch seinen letzten Besitz verlor. So beginnt seine unglückliche Verwandlung, die ihn zuletzt zum Mörder werden lässt und an den Galgen führt. Schiller begnügt sich in seiner Erzählung nicht mit einem Kopfschütteln des Befremdens über diesen Mann, sondern nimmt eine „Leichenöffnung des Lasters“ vor, indem er den Gedanken und Gefühlen des Verirrten eine Stimme verleiht, die nachdenklich stimmt.

So hat Schiller die Frage nach den Ursachen der Barbarei von Fall zu Fall neu beantwortet. Doch immer führte ihn die Antwort in die Enge des Herzens. Denn in der Feigheit des Herzens sah er das entscheidende Hindernis auf dem Weg zur Freiheit und Mündigkeit. Solange sich das Herz der Vernunft verschließt, wird diese keine Chance haben, weil der Weg zu dem Kopf durch das Herz muss geöffnet werden, lautet eine seiner schönsten Formulierungen. Die Vernunft hat ja bereits im 18. Jahrhundert geleistet, was sie leisten kann, stellte Schiller fest. Sie hat die Gesetze aufgestellt, nach denen wir theoretisch vernünftig miteinander leben könnten. Wenn wir unsere verbesserten Einsichten dennoch nicht ins Leben umsetzen, dann liegt das nicht an unserem Verstand, sondern an unseren Gefühlen, Emotionen und Trieben, sagt Schiller, denn sie seien die einzig bewegenden Kräfte in der empfindenden Welt der Menschen. So forderte Schiller bereits um 1800 Herzensbildung nicht als rein privaten Rückzugsort ins Innere, sondern als Voraussetzung wahrer Aufklärung, deren Ideale wie Menschlichkeit, Toleranz und Frieden noch heute als leuchtende Sterne am Himmel stehen.

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